01.08.14

Glück, waghalsige Prognosen und Qarabag-Salzburg 2:1

Eine detaillierte statistische Spielanalyse ist angesichts der eher undetaillierten Statistiken auf uefa.com zwar nicht möglich, aber ein paar Gedanken und Fakten möchte ich dennoch loswerden.

War ein Heimsieg Qarabags im Vorhinein zu erwarten?


Geht es nach den österreichischen Medien und generell der österreichischen Öffentlichkeit, müsste diese K.o.-Duell eine klare Sache zugunsten des österreichischen Meisters werden. Ohne konkrete Beweise darlegen zu können, lautete der Grundtenor, dass Salzburg bekanntlich in die Champions League wolle und dass daher alles andere als ein Sieg eine enorme Enttäuschung wäre. Und gegen einen Klub aus Aserbaidschan müsse man in der momentanen Verfassung ohnehin drüberfahren.

Doch leider ist Fußball nicht immer so einfach, wie es das Ziel "Ball ins Tor" suggerieren würde. Selbst wenn man in den letzten Spielen absolut überzeugt hat, heißt das nicht, dass man im kommenden Match gegen einen ähnlich starken Gegner wie zuvor ebenso dominiert. Noch einmal schwieriger stellt sich die Situation bezüglich des Gewinnens dar: Auch mit einer guten Leistung muss man nicht gewinnen, weil das Spiel letztlich von nur wenigen (durchschnittlich 2,7) Ereignissen entschieden wird - den Toren. Doch diese Ereignisse treten nur selten und wenn, dann nur als Ganzes auf. Es gibt - in der Realität - keine 0,5, 0,1 oder 0,375 Tore, die als "Belohnung" für bestimmte erfolgreiche Aktionen (angekommener Pass in den Strafraum, Schuss aufs Tor) ausgesprochen werden und sich nach und nach auf die 2,7 Toren summieren. Nein, ein Fußballmatch wird tatsächlich auf Basis von nur 2-3 Aktionen entschieden, die gar nicht den tatsächlichen Spielverlauf wiedergeben müssen. Gewinnen ist im Fußball also eine durchaus heikle Angelegenheit. Fast noch schwerer fällt es daher, den Sieger vor einem Spiel vorauszusagen. Und noch einmal schwerer ist es angesichts der Voraussetzungen, von einem "sicheren Sieg" oder "Muss-Sieg" zu sprechen und dabei nicht die Realität zu verlassen.

Besonders schwer wird eine qualifizierte Einschätzung, wenn man im internationalen Wettbewerb spielt und nicht gerade auf den FC Barcelona trifft. Zumal es sich bei Salzburgs Gegner in der dritten Qualifikationsrunde zur diesjährigen Champions League nicht um einen Klub ala Maribor handelt, der sich in den vergangenen Jahren zumindest irgendeinen Namen in Europa gemacht hat (Rang 121 in der UEFA-Klubrangliste), sondern um eine hierzulande ziemlich unbekannte Mannschaft aus Aserbaidschan. Zwar scheint es sich um die im letzten Jahr beste Mannschaft aus diesem Land zu handeln, aber berühmt für fußballerische Erreichnisse ist diese Land trotzdem nicht. Man hört zwar ab und an, dass ein paar ganz gute Brasilianer bei Qarabag spielen sollen, aber egal, Salzburg muss einfach weiterkommen.

So würde zumindest eine irrationale Herangehensweise lauten. Die zweite, realistischere Variante wäre folgender Gedankengang: "Ich habe wenige Informationen, also sollte ich mich nicht zu allzu extremen Prognosen hinreißen lassen oder einfach gar keine machen". Eine zweckoptimistische Einschätzung könnte also lauten: "Salzburg hat gezeigt, dass es eine starke Mannschaft ist, die noch dazu sehr gut in Form ist. So schlecht wird es nicht werden." Vorsichtigere Menschen könnten sich sagen: "Ich schaue mir einfach einmal das Hinspiel an, dann weiß ich, wie es um Qarabag steht."

Noch besser wäre natürlich, schon vor dem Spiel eine qualifizierte Einschätzung zu haben. Und hierfür passt wohl wenig besser als der Goalimpact, mit dem wir uns ja hier schon mehrfach beschäftigt haben (RBS, Schweiz). Der große Vorteil des GI ist, dass er sich wesentlich mehr auf die aktuelle Mannschaften bezieht als beispielsweise die UEFA-5-Jahreswertung oder der Euroclubindex. Letztere beiden Faktoren werden nur aufgrund von vergangenen Spielergebnissen der Verein in Liga und Europacup (euroclubindex) bzw. nur im Europacup (5-Jahreswertung) errechnet. Die internationale Vergleichbarkeit wird ausschließlich durch internationale Spiele hergestellt, bei denen einige Spieler noch bei einem ganz anderen Verein angestellt waren.
Der GI hingegen nutzt eben diese Transfers unter verschiedenen Ligen ebenfalls, um die Vergleichsmöglichkeiten zu vergrößern. Je nach dem, wie gut ein Spieler in Liga A seinem Team geholfen hat, müsste er seinem neuen Team Qarabag in der aserbaidschanischen Liga helfen können. Aber wie genau sahen die auf die Startaufstellungen bezogenen Gewinnwahrscheinlichkeiten aus?

FK Qarabag's victory over Red Bull Salzburg wasn't such a big upset as I first thought. Odds were FKQ 34.8%, draw: 30.9%, RBS: 34.4%
(Quelle: https://twitter.com/GoalImpact/status/494546376882421760)

Von einer klaren Sache kann keine Rede sein. Laut dem Goalimpact war ein Heimsieg Qarabags sogar minimal wahrscheinlicher als ein Auswärtssieg (34,8% zu 34,4%)

Die Betonung liegt auf "Heimsieg". Denn wie noch in der verlinkten Diskussion erläutert wurde, hat der mit einberechnete Heimvorteil die Prognose maßgeblich beeinflusst: Bei unveränderten Startformationen würde Salzburg in der Red Bull-Arena zu 65,2% gewinnen (Qarabag 12,0%).

Der Spielverlauf - war ein Heimsieg im Nachhinein zu erwarten?


Dass der Heimvorteil wohl nicht zu Unrecht so eine starke Gewichtung bekommt, konnte man gerade in Baku beobachten: Die rund 30000 fanatischen Fans feuerten ihre Mannschaft an und wurden selbst von der frühen Führung "ihrer" Mannschaft befeuert. So kam es, dass Salzburg zu Beginn aufgrund des Zusammenspiels der ungünstigen Faktoren "früher Rückstand" und "fanatische gegnerische Fans" keinen Faden fand, wie es Kevin Kampl direkt nach dem Spiel im ORF-Interview feststellte. Hinzu kam, dass der Meister Aserbaidschans zu Beginn früh presste und somit das Unterfangen "ins Spiel kommen" bestmöglich erschwerte.
Bei Kontern konnten Qarabags dynamische Brasilianer wie Richard und vor allem Reynaldo immer wieder mit Dribblings Akzente setzen. Da allerdings keine Mitspieler mit aufrückten, entstand aus den im Ansatz furchteinflößenden Antritten fast nie Torgefahr. Zumindest Fouls konnten sie herausholen (alle folgenden Daten von http://de.uefa.com/uefachampionsleague/season=2015/matches/live/index.html?day=-4&session=2&match=2014167): Zusammen wurden Danilo, Richard und Reynaldo 10 Mal gefoult, und Reynaldo im Speziellen holte nicht nur die unberechtigte Rote Karte gegen Christian Schwegler heraus, sondern auch eine Gelbe Karte gegen Martin Hinteregger.

Spätestens ab dem Platzverweis für Kapitän Admir Teli (42. Minute) war es allerdings vorbei mit frühem Stören bei Qarabag. Nach der Pause spielte nur noch Salzburg, das nicht nur offensiv zu seinen gewohnt flexiblen und schnellem Passspiel fand, sodass eine Vielzahl hochkarätiger Chancen herausgearbeitet wurde. In manchen Situationen, bei denen schon nicht der erste Schuss den Weg ins Netz gefunden hatte, hätte der Ball mit etwas mehr Glück bei einem Salzburger landen können, der aus dann wirklich treffen hätte müssen (in diesem Fall ist die Prognose sicher genug, als dass man das Wort "müssen" verwenden darf). 

Doch nicht nur offensiv waren die Salzburger klar verbessert. Man sollte nicht vergessen, dass man fortan auch defensiv den extrem beweglichen Reynaldo weitestgehend im Griff hatte. André Ramalho und Martin Hinteregger hatten sich gut auf ihren Hauptgegenspieler eingestellt und fingen in der 2. Halbzeit dank guter Antizipation entweder schon den Pass auf den Torjäger ab oder waren zumindest bei der Ballannahme nahe genug an ihm dran, sodass er keine Fahrt aufnehmen konnte.
(Ich würde das alles ja gerne mit Statistiken belegen, aber es geht nicht.)

Sehr wohl in Zahlen ausdrücken lässt sich Salzburgs Dominanz im Spiel: Bei den Angriffen stand es am Ende 60:26 für den österreichischen Meister, der also fast 70% aller Angriffe im Spiel fuhr. Angesichts der defensiven 2. Spielhälfte Qarabags mag dieser Wert nicht überraschen, aber das Großchancenverhältnis laut UEFA ist definitiv nicht durch Zufall entstanden: 8:0 für Salzburg! Zwar müsste meiner Meinung nach zumindest Reynaldos Tor auch als Großchancen gezählt werden, aber das Gesamtbild würde sich ohnehin nicht verändern.

Fazit


Am Ende hat Salzburg zwar eine seiner vielen Chancen genutzt, durch die einzige defensive Unaufmerksamkeit in Halbzeit 2 dennoch verloren. Nichtsdestotrotz stehen die Chancen auf einen Aufstieg ins Play-Off weiterhin gut: Wie schon angesprochen gewänne Salzburg in Salzburg mit den Startaufstellungen von letztem Mittwoch zu 65,2%, und diese Wahrscheinlichkeit könnte sich noch erhöhen: Alan sowie voraussichtlich auch Stefan Ilsanker werden in der nächsten Woche wohl wieder einsatzfähig sein, und beide würden dem GI nach ein klare Upgrade zu ihren Ersatzmännern Keita und Sabitzer darstellen (nachzulesen in der Kaderanalyse). Zusätzlich werden im Rückspiel Qarabags Admir Teli und Reynaldo (dessen Rote Karte ebenso fragwürdig war wie jene von Schwegler) fehlen. Ich kenne zwar ihren Goalimpact nicht, aber man darf davon ausgehen, dass die Abwesenheit des Kapitäns (Teli) und des Stürmers, der im Hinspiel die meisten Probleme bereitet hat (Reynaldo), durchaus eine Schwächung bedeutet.

Außerdem war Salzburg wie beschrieben nach Anlaufschwierigkeiten schon in Halbzeit 2 des Hinspiels die klar bessere Mannschaft. Wären die Chancen gleich zu Beginn des zweiten Durchgangs genützt worden, wäre das Spiel wohl ohnehin gewonnen worden, und niemand hätte behauptet, dass Salzburg "zu dumm für die Champions League" wäre. Einige Leute mögen jetzt entgegen halten, dass mangelnde Chancenverwertung eben eine Form von Dummheit sei. Diese Personen sollten sich vor Augen führen, dass Chancenverwertung viel mehr mit dem Zufall zusammenhängt als mit tatsächlichen Fähigkeiten. Streng resultatsgebundenes Denken führt eben selten zum Ziel.

Schlussendlich noch einmal zur übertriebenen Erwartungshaltung: Eigentlich sollten österreichische Fans und Medien erst recht nicht den Fehler der Unterschätzung machen, nachdem sie vor nicht einmal einem halben Jahr auf der anderen Seite einer solchen Fehleinschätzung stand: Kaum ein Niederländer hätte erwartet, dass Ajax Amsterdam so sehr von Salzburg dominiert würde, wie es sich in der Realität herausstellte. Ratet einmal, wer das Salzburger Weiterkommen erahnt hat...  http://www.goalimpact.com/2014_02_01_archive.html

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