24.06.14

Über erfolgreiche, halberfolgreiche und nicht erfolgreiche Aktionen


Wirft man einen Blick auf einen Spielbericht und auf die Übersicht über die taktischen Spieldaten, bekommt man neben vielen absoluten Zahlen wie abgegebene Torschüsse, Flanken etc. auch diverse Erfolgsquoten zu sehen. Diese Prozentwerte erhält man, indem man die Anzahl der gelungenen Aktionen durch jene der Aktionen insgesamt dividiert. Dabei setzen sich die Aktionen insgesamt aus erfolgreichen du nicht erfolgreichen Aktionen zusammen. Beispiele hierfür wären die Passquote (angekommene Pässe/gespielte Pässe), die Zweikampfquote (gewonnene Zweikämpfe/geführte Zweikämpfe) oder die Chancenverwertung (Tore/Chancen).

Momentan unterscheidet man also nur zwischen den beiden Polen "gelungene Aktion" und "nicht gelungene Aktion". Die Frage, die sich ein Interessierter stellen muss, lautet: Gibt es wirklich nichts zwischen erfolgreich und nicht erfolgreich? Ist bspw. ein Pass, der zum Mitspieler kommt, automatisch erfolgreich?


Wie so oft ist eine solche Schwarz-Weiß-Denkweise nicht die vernünftigste Lösung. Wenn man alles (nicht nur irgendwelche Zweikämpfe am Fußballplatz, sondern auch im generellen Leben) in (sehr) Gut oder (sehr) Schlecht einordnet, ist dies immer mit einem Informationsverlust verbunden. Zwar kann eine Zeitung mit eindeutigen Schlagzeilen Leser anlocken, aber den Kern der Sache wird sie nur eher selten erreichen.

Daher sollten zumindest Fußballstatistikanalysten mit gutem Beispiel vorangehen und zusätzlich zu "erfolgreich" und "erfolglos" auch die Kategorisierung "halberfolgreich/neutral" einführen. Anhand konkreter Beispiele soll nun gezeigt werden, inwiefern diese Neueinteilung sinnvoll ist.

Pässe


Man stelle sich einen Konterangriff über die rechte Seite vor. Die angreifende Mannschaft A befindet sich in Überzahl und ist schon auf Strafraumhöhe angekommen. Der rechte Flügelspieler muss den Ball eigentlich "nur" noch sauber in die Mitte spielen, wo aufgrund der besagten Überzahl fast zwangsläufig ein Spieler frei zum Torabschluss kommen könnte.
Allerdings fällt die flache Hereingabe so scharf aus, dass keiner der Mitspieler den Pass verwerten kann. In diesem Moment würde man eindeutig sagen: Großchance zunichte gemacht, schlechter Pass des rechten Flügelspielers!

Aber die Szene ist noch nicht vorbei: Auf der linken Seite erläuft sich ein Spieler von Team A gerade noch den Ball. Somit ist der Pass doch noch bei einem Mitspieler angekommen - erfolgreicher Pass!

Ich bin mir zwar nicht ganz sicher, ob Statistikfirmen diesen Pass des rechten Flügelspielers als erfolgreich oder erfolglos einstufen würden. Aber jedenfalls wäre keine der beiden Kategorien wirklich richtig. Wenn man es genau nimmt, hat das Zuspiel zwar einen Mitspieler, aber nicht sein Ziel erreicht! Das wäre ein Paradebeispiel für einen halberfolgreichen Pass.

Ein weiteres passendes ist ein Pass, der zwar einen Mitspieler findet, der aber so unsauber ausgeführt ist, dass der Mitspieler den Ball nicht mehr gut verarbeitet werden kann. An sich hat die Kugel ihr Ziel erreicht, doch verwertbar war das Zuspiel nicht. Höchstens ein extrem ballgewandter Techniker hätte eventuell noch etwas damit anfangen können.
Deshalb wäre sich wohl niemand wirklich sicher, welche Einstufung am korrektesten ist. Niemand würde behaupten, dass es sich um einen guten Ball handelte, niemand würde behaupten, dass der Pass ins nirgendwo gegangen wäre.
Wie so oft erscheint auch in diesem Fall der Mittelweg als beste Lösung: Einfach den Pass Neutral werten!

Umgekehrt gibt es auch so manchen Fehlpass, der nicht unbedingt einer ist: Ein Außenverteidiger von Mannschaft A passt der Seitenauslinie entlang nach vorne in den Lauf eines (schnellen) Flügelspielers. Gelingt dieser Angriffszug, wäre dem Flügelspieler der Durchbruch gelungen. Jedoch kommt gerade noch rechtzeitig ein Verteidiger angerauscht und befördert den Ball (mit fairen Mitteln) ins Seitenaus.
Eigentlich ist dieser Pass nicht zum Ziel (dem Mitspieler) gelangt, der Gegenspieler war vorher zur Stelle. Allerdings hat der passende Außenverteidiger dennoch nicht wirklich für einen Ballverlust gesorgt, denn schließlich darf er gleich wieder zum Einwurf greifen. Zudem hat er möglicherweise diesen Pass gespielt, weil er sich dessen bewusst war, dass ohnehin wenig schief gehen kann: Im Idealfall ist sein Vordermann (der Flügelspieler) durch, oder er bekommt eben einen Einwurf.
Gerade aufgrund der Tatsache, dass Mannschaft A in Ballbesitz bleibt, würde ich diesen Passversuch keinesfalls als Fehlpass einschätzen. Und da der Ball aber eben auch nicht den Mitspieler erreicht hat, ist erneut der Mittelweg die beste Lösung!

Zweikämpfe


Der Aspekt, welche Mannschaft nach der jeweiligen Aktion in Ballbesitz kommt, ist auch für die Zweikämpfe von Bedeutung. Was bringt es einem Spieler von Mannschaft A, wenn er einem Gegner von Mannschaft B den Ball im Strafraum vom Fuß spitzelt, aber ihm dennoch der Ball ins Toraus springt, was einen Eckball zur Folge hat?

Ganz so drastisch, wie es im letzten Satz ausgedrückt ist, stellt sich sie Wahrheit natürlich nicht dar. Dieses Eingreifen kann dennoch eminent wichtig für die Mannschaft A sein: Zumindest verzögert/unterbricht der Verteidiger mit diesem Zweikampf den Angriff des Gegners. Und dieser Angriff hätte durchaus gefährlich werden können, weil  Mannschaft B bekanntlich schon bis zum Strafraum vorgedrungen war. Wirklich erobert hat der Abwehrspieler den Ball jedoch auch nicht. Somit kann nicht von einem uneingeschränkt positiven Ausgang die Rede sein.
Das Gleiche gilt für den angreifenden Spieler, der mit dem Ball nicht am Gegenspieler vorbei gekommen ist. Obwohl er sicherlich gerne ein erfolgreiches Dribbling verbuchen hätte wollen, dürfte er nicht gänzlich unzufrieden sein, da seine Mannschaft B in Ballbesitz bleibt. Und wer weiß, vielleicht ist Mannschaft besonders gefährlich bei Standardsituationen?

Angesichts der "Stimmungslagen" beider Spieler wäre es also logisch, beiden einen halberfolgreichen Zweikampf zuzusprechen.

Ich persönlich würde übrigens das gleiche Urteil fällen, wenn der Ball  nach dem Zweikampf nicht ins Aus, sondern zu einem Teamkollegen des dribbelnden Spielers abprallt. Schließlich hat zwar der Verteidiger dem Stürmer die Kugel abgeluchst, letztlich bleibt der Ballbesitz dennoch auf Seiten des Angreifers.

Torschüsse


Eine Vorreiterrolle bezüglich einer Differenzierung von erfolgreichen, halberfolgreichen und nicht erfolgreichen Aktionen nehmen die Torschüsse ein. Längst wird ein Schuss nicht mehr nur in "Tor" oder "kein Tor" kategorisiert, es sind auch die Kenngrößen "Schüsse aufs Tor" oder "Schüsse geblockt" vorhanden. Die Schüsse aufs Tor sind bei diesem Beispiel quasi die halberfolgreichen Schüsse: Das Ziel (=das Rechteck begrenzt durch Torlinie, Latte und die beiden Pfosten) wird zwar erreicht. Aber bei einigen Schüssen hat der gegnerische Torwart etwas dagegen, dass der Schuss als vollständig erfolgreich in die Statistik eingeht, und er pariert den Ball.
(wenngleich die Definition etwas anders ist: SaT sind die Menge aller Schüsse, die in Richtung Ziel gehen, unabhängig davon, ob sie ins Tor gehen oder ob der Torhüter hält; SaT sind also sozusagen die erfolgreichen und halberfolgreichen Aktionen zusammen.)

Schüsse aufs Tor wurden außerdem  auch schon oft genug dazu benutzt, um zusätzliche, wertvolle Informationen zu gewinnen.

Allerdings besteht auch auf dem Segment der Torschussstatistik noch Aufholbedarf in der Nutzung der halberfolgreichen Aktionen. So wertvoll wie die Datensammlung auf whoscored.com grundsätzlich ist (vor allem weil auch die genauen Spielerpositionen angeführt werden), so fehlen auch dort Daten darüber, wie oft ein Spieler über eine Saison aufs Tor geschossen hat. Noch weiter entfernt vom Aufscheinen dürften Vorlagen zu Schüssen aufs Tor sein. Dabei wären Schüsse aufs Tor ein guter Kompromiss zwischen Toren (Torvorlagen) und Schüssen gesamt (Torschussvorlagen): Einerseits sind sie nach kürzerer Zeit schon nicht mehr so stark vom Zufall befangen wie Tore (James Grayson), andererseits bieten sie anders als Torschüsse auch Aufschluss über die Qualität des Abschlusses.

Die Verwendung der Daten und was die Differenzierung bringen würde


Je nach der zugrunde liegenden Kenngröße (Pässe/Schüsse...) muss man entscheiden, ob primär die absoluten Zahlen oder die relativen Häufigkeiten wertvolle Informationen enthalten. In Bezug auf die Schüsse wurde im letzten Absatz schon erklärt, welche Vorteile die Schüsse aufs Tor mit sich bringen. Dass auch die Erfolgsquoten relevant sind, wurde im oben verlinkten Spielverlagerung-Artikel gezeigt, wobei sie prinzipiell weniger Aussagekraft haben (siehe Link zu James Grayson).

Bei den Zweikämpfen und Pässe gestaltet sich die Lage ein wenig anders: Bei diesen beiden Größen werden wohl primär die Erfolgsquoten etwas über die Spieler und Mannschaften aussagen. Ich denke, dass sowohl der Quotient "erf.A/A.ges" (erfolgreiche Aktionen pro Aktion) und "(erf.A+halberf.A)/A.ges" (nicht erfolglose Aktionen pro Aktion) von Bedeutung sind. Möglicherweise könnte es auch etwas über einen Spieler aussagen, ob er an relativ vielen Aktionen mit neutralem Ausgang beteiligt ist. 

Wie man schon aus dem bisherigen Text heraushört, ist der Zweck einer solchen Differenzierung momentan noch etwas vage. Keiner (?) weiß, ob es wirklich einen Unterschied macht, in wie vielen Prozent aller (Defensiv-) Zweikämpfe ein Spieler zumindest das Ausgespielt Werden verhindert. In einzelnen Situationen (wie in der oben geschilderten beim Eckball) ist der zusätzliche Einsatz sicherlich wertvoll, aber ob man auch in Summe signifikante Unterschiede zwischen Spielern/Teams feststellen kann?

Fazit


Nichtsdestotrotz hat eine etwas nähere Differenzierung noch nie einen Informationsverlust mit sich gebracht (solange die einzelnen Kategorien nicht zu eng gewählt sind). Das trifft sowohl auf subjektive Einschätzungen eines normalen Menschen als auch auf statistische Kennwerte zu, und daher dürfte dasselbe wahrscheinlich auch für die Einführung von halberfolgreichen Aktionen gelten. Zumal es - wie oben beschrieben - in der Tat Szenen gibt, die nicht eindeutig als "erfolgreich" oder "erfolglos" abzustempeln sind, was beweist, dass diese Differenzierung tendenziell keinesfalls zu eng ist.

Daher würde ich eindeutig für halberfolgreiche Aktionen plädieren und die eingangs gestellte Frage ("Gibt es wirklich nichts zwischen erfolgreich und nicht erfolgreich?") mit "Ja" beantworten. Zumindest wäre es erstrebenswert, diese Daten zunächst zu erheben, um die Relevanz zu überprüfen.
Die Erhebung an sich dürfte nicht allzu viel schwerer fallen, als die der bisherigen Zweikämpfe und Pässe. Die Definitionen sind nämlich ziemlich klar: Es geht nicht darum, ob sich ein Spieler den Ball schnappen kann, sondern auch darum, ob er den Ball kontrolliert weiterverarbeiten kann.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen